Europäisches Institut für Stillen und Laktation

Neues ABM-Protokoll Nr. 35: Schutz des Stillens während eines Klinikaufenthalts von Mutter oder Kind

Anlage zum EISL-Newsletter Oktober 2021

ABM Clinical Protocol #35: Supporting Breastfeeding During Maternal or Child Hospitalization
M. Bartick et al. and the Academy of Breastfeeding Medicine. Breastfeeding Medicine, Vol. 16, Number 9, 2021. DOI: 10.1089/bfm.2021.29190.mba

Das wichtigste in Kürze:

  • Kinder und/ oder Mütter müssen manchmal während der Stillzeit stationär behandelt werden, z.B. aufgrund einer Operation oder auch wegen psychiatrischer Indikationen. Häufig führt dies dazu, dass das Stillen infrage gestellt, unterbrochen oder beendet wird, obwohl Mutter und Kind noch nicht bereit dazu sind.
  • Stillen wirkt unterstützend bei der Heilung, Beruhigung und Schmerzlinderung. Eine Mutter-Kind-Trennung mit Unterbrechung oder verfrühtem Beenden des Stillens erhöht das Risiko für kindliche Infektionen und gesundheitliche Langzeitfolgen bei Mutter und Kind.
  • Auch Fachkräfte, die nicht auf Entbindungs- oder Säuglingsstationen arbeiten, aber Mutter oder Kind in einer solchen Situation betreuen, benötigen grundlegendes Wissen, wie das Stillen ermöglicht und aufrecht erhalten werden kann.

Das Stillen zu schützen, wenn das Stillkind oder die Mutter stationär aufgenommen werden müssen, ist ein wichtiges Anliegen. Deshalb hat die Academy of Breastfeeding Medicine (ABM) im September 2021 ein neues Klinisches Protokoll zu diesem Thema veröffentlicht. Die → Protokolle der ABM gelten weltweit als richtungsweisend für den evidenzbasierten Umgang mit stillenden Frauen und dienen häufig als Grundlage für Leitlinien oder Standards.

Alle, die in der Stillberatung tätig sind, wissen, dass es manchmal peripartal oder auch danach notwendig sein kann, dass eine stillende Mutter oder ihr Kind aus medizinischen Gründen stationär aufgenommen werden müssen. Manchmal kommt es auch vor, dass die stillende Mutter in einer psychiatrischen Klinik behandelt werden muss.
Häufig führen diese Situationen zu einer Unterbrechung des Stillens oder zum Abstillen.

Das ABM-Protokoll Nr. 35 beschreibt, wie sowohl Mutter als auch Kind in einer solchen Situation gut betreut werden können und wie in diesen Fällen vorgegangen werden sollte. Alle Aussagen sind mit Evidenzen hinterlegt, so dass dieses Protokoll eine gute Unterstützung sein kann – sowohl für Fachleute als auch für betroffene Familien. Kliniken sollten daraus schriftliche Standards entwickeln.
Andere bereits vorhandene ABM-Protokolle können dieses ergänzen, beispielsweise
→ Nr. 15 „Analgesien und Anästhesien der Stillenden Mutter“
→ Nr. 25 „Empfehlungen für die präoperative Nüchternheit beim gestillten Säugling“
→ Nr. 31 „Radiologie und Nuklearmedizin für die stillende Mutter“

Bei allen Überlegungen ist es wichtig, das Stillen als Norm der Ernährung eines Säuglings zu sehen und immer auch die kulturellen Hintergründe und Wünsche der Mutter mit einzubeziehen. Eine Mutter-Kind-Trennung und ein Abstillen minimiert den wichtigen Immunschutz für das Kind durch Stillen und Muttermilch, wodurch z.B. die Risiken für Infektionen der Atemwege und des Magen-Darm-Trakts, Otitis Media und SIDS erhöht werden, aber auch Diabetes mellitus (Typ 2) und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Auch für die Mutter wird das Risiko für Diabetes-Erkrankungen, sowie Brust- und Ovarialkarzinome erhöht.

Die Nähe zwischen Mutter und Kind, sowie das Stillen selbst, steigert die Oxytocinausschüttung bei beiden und wirkt als Unterstützung des Heilungsprozesses (senkt Schmerzempfinden, Puls und Blutdruck und erhöht Entspannung und Wohlbefinden). Eine Trennung führt zu erhöhten Cortisol-Spiegeln.

Manche Medikamente haben Einfluss auf die Prolaktinsekretion, deshalb ist es besonders wichtig, dass nächtliches Stillen auch bei einem Klinikaufenthalt ermöglicht wird, um die Milchproduktion aufrecht zu erhalten.
Wenn eine Mutter vorübergehend Milch abpumpen muss, ist es erforderlich, ihr eine gute elektrische Milchpumpe mit Doppelpumpset sowie eine Möglichkeit zur adäquaten Lagerung der abgepumpten Milch zur Verfügung zu stellen.

In den deutschsprachigen Ländern besteht ein Anrecht darauf, bei kranken Kindern bis zu 12 Jahren ein Elternteil stationär mit aufzunehmen. Aber auch, wenn die Mutter krank ist, sollte eine Lösung gefunden werden: wenn sie sich in der Klinik nicht selbst ausreichend um das Stillkind kümmern kann, sollte eine weitere Bezugsperson mit aufgenommen werden, da es meist keine personellen Ressourcen von Seiten der Klinik gibt, sich zusätzlich um das Stillkind kümmern zu können. Es soll eine sichere Schlafmöglichkeit für Mutter und Kind organisiert werden, z.B. indem Bettgitter oder Beistellbetten zur Verfügung gestellt werden.

Bei einer Medikation der Mutter ist zu beachten, dass es in den weitaus meisten Fällen stillverträgliche Medikamente gibt, so z.B. auch bei Untersuchungen mit Kontrastmitteln. Wenn die Mutter weder essen noch trinken darf, muss bei einer Stillenden die i.v.-Flüssigkeitsgabe angepasst werden, je nachdem, ob sie ausschließlich oder teilweise stillt.
Wenn eine komplizierte Operation ansteht oder die Mutter absehbar für einige Zeit zur Intensiv-Überwachung aufgenommen werden muss, sollte nach Möglichkeit im Vorfeld gemeinsam mit den Eltern und den klinischen Teams besprochen werden, wie die Milchbildung der Mutter weiterhin sichergestellt werden kann und wie Komplikationen vermieden werden können.

Eine besondere Herausforderung liegt vor, wenn die Mutter in eine psychiatrische Klinik aufgenommen werden muss. Oft ist die Mutter dann nicht in der Lage, sich adäquat um das Kind zu kümmern. Trotzdem wäre es auch in diesen Fällen äußerst wünschenswerst, wenn Mutter und Kind gemeinsam aufgenommen werden würden und die Mutter Unterstützung bei der Versorgung des Säuglings erhält.

Manche Medikamente sind nicht stillverträglich, dennoch soll die Mutter – wenn erforderlich – keinesfalls klassische medikamentöse Wirkstoffe zur Unterstützung des Abstillens erhalten: Viele Medikamente aus dem psychiatrischen Behandlungsbereich haben eine antidopaminerge Wirkung und erhöhen somit den Prolaktinspiegel, während Abstillmedikamente dopaminerg wirken und den Prolaktinspiegel senken sollen. Beide Gruppen wirken also gegensätzlich und dürfen nicht gleichzeitig genutzt werden. Sinnvoll ist das physiologische Abstillen über einen Zeitraum von ca. 1 - 2 Wochen, was zugleich auch die Gefahr von Nebenwirkungen der Abstillmedikamente umgeht.

Alle Kliniken, die (auch unregelmäßig) Mütter und/oder Säuglinge und Kleinkinder behandeln, sind aufgefordert, Richtlinien zu erarbeiten, damit es nicht zu einer Überforderung kommt, sollte plötzlich eine Situation auftreten, in der eine stillende Mutter oder ein Stillkind stationär aufgenommen werden muss.

Das vollständige ABM-Protokoll, das derzeit nur in der englischen Version vorliegt, kann → hier heruntergeladen werden.

© Oktober 2021, Gudrun von der Ohe (Ärztin und IBCLC)
und das EISL-Newsletter-Team: Anja Bier, IBCLC; Natalie Groiss, IBCLC; Gabriele Nindl, IBCLC

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